Macht Lauftechnik Spaß ?
„Ich lese sehr gerne hier in deinem Blog, aber ich Frage mich des öfteren, ob es noch Spaß macht zu laufen, wenn man so viel an Lauftechnik usw denken muss? So ein Metronom würde für mich in 100 Jahren nicht in Frage kommen. Beim Laufen möchte ich entspannen und nicht so ein gepiepe hören“ – diesen Kommentar hat Dennis letzte Woche auf meinem Blog hinterlassen.
Aussagen, die ich sehr oft höre: „Ich will mich beim Laufen entspannen“ , „Laufen muss Spaß machen, da kann ich nicht auf die Technik schauen“ bis hin zu „Ich brauche keine Lauftechnik“
Ja, Ihr habt völlig recht. Auch wenn meine Blogartikel vielleicht manchmal nicht so klingen, ich will weder jemanden zum Minimalschuh-Laufen vergattern noch behaupte ich, das man ohne ChiRunning unmöglich laufen kann. Ich will sicher niemanden missionieren – meine Blogartikel sollen MEINE Erfahrungen widerspiegeln und vielleicht die Eine oder Andere zum Nachdenken anregen. (Was mir zu meiner Freude immer wieder gelingt)
Trotzdem will ich auf die oben angesprochen Punkte kurz eingehen:
Macht es Spaß, wenn ich an Lauftechnik denke ?
Ich kann hier nur für mich sprechen: Ja, mir macht das nicht nur Spaß, ich entspanne mich dabei auch wesentlich stärker als wenn ich mit Musik laufen würde. Meiner Erfahrung nach entspannt sich das Hirn wesentlich besser, wenn es fokussiert ist. Sonst wäre ja ein Fernseh-Abend mit Rosamunde Pilcher und dem Traumschiff das Entspannendste auf Erden. Seltsamerweise entspannen sich aber viel mehr Menschen bei Yoga oder z.b. TaiChi – wo der Fokus ganz klar auf dem korrekten Ablauf der Bewegung liegt. Auch Mountain-Bike Fahren erfordert – wenns halbwegs sportlich ist – eine starke Konzentration aufs Fahren.
Ich fokussiere beim Laufen sehr bewußt auf meinen Körper – mal auf die Schultern, dann auf den Schwung meiner Arme, die Atmung, das lockere Heben der Füße vom Boden, die Neigung, die gestreckte Wirbelsäule, die Frequenz. Das in Verbindung mit den Single-Trails die ich meistens durch den Wald laufe, hilft mir, alle anderen Gedanken auszublenden und voll im Laufen aufzugehen. Noch gelingt mir das nicht den ganzen Lauf – ich merke immer wieder, wie die Aufmerksamkeit sich anderen Dingen zuwendet, wie die Gedanken sich anderen Dingen zuwenden. Dann konzentriere ich mich wieder und komme wieder in den Flow. Mir erlaubt die Konzentration auf die Technik, auf meinen Körper einfach, abzuschalten und voll im Laufen zu sein.
Stört das Piepsen des Metronoms nicht ?
Mein Metronom ist ja relativ klein und ist mit dem integrierten Clip meistens in Schulternähe befestigt.
Damit kann ich es sehr leise stellen und störe (hoffentlich) andere Läufer damit nicht. Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, das das Piepsen direkt in meine Beine geht. D.h. ich muss mich nicht auf die Schrittfrequenz konzentrieren, das läuft mittlerweile schon völlig autonom und im Unterbewußtsein. Damit merke ich es fast nicht mehr und es stört mich gar nicht.
Eine vorgegebene Schrittfrequenz ist gefährlich
Auch ein Zitat von Dennis. Und auch etwas, das ich immer wieder höre. Jeder Mensch ist unterschiedlich und es ist Unsinn, eine Schrittfrequenz vorzuschreiben.
Zuerst mal die Antwort auf die Frage, warum eine Schrittfrequenz von 170-180 Schritte/Minute sinnvoll ist:
Je geringer deine Schrittfrequenz, umso länger ruht das Gewicht deines Körpers auf deinen Beinen. Bei einer höheren Frequenz ist die jeweilige Belastung geringer. Ist die Schrittfrequenz zu hoch, haben die Sehnen und Muskeln im Körper zu wenig Zeit zu wirken und Du läufst wieder ausschließlich mit deinen Muskeln. Ausserdem erfordert eine Schrittfrequenz zwischen 170-180 automatisch eine Umstellung der Lauftechnik – Du kannst keine 170 Schritte pro Minute Laufen, wenn dein Fuß weit vor deinem Körper aufkommt und dann hinter deinem Körper den Boden verläßt. Mit einer hohen Schrittfrequenz kommt der Fuß automatisch unterhalb vom Körper auf und schwingt nach hinten.
Für mich sehr interessant ist, das die 170-10 Schritt pro Minute nicht nur im ChiRunning die empfohlene Frequenz ist, sondern in sehr vielen anderen Lauftechnik-Schulen. Auch meine Garmin Fenix mißt die Schrittfrequenz und empfiehlt 170-180 Schritte.
ABER ACHTUNG !
Wenn Du heute feststellst, das deine Schrittfrequenz z.b. 155 ist (BTW: Wie stellst Du das einfach fest ? Du schaust beim Laufen auf deine Uhr und zählst 30 Sekunden lang, wie oft dein rechter Fuß am Boden aufkommt. Das nimmst Du x 4 (weil 2×30 sec und 2 Beine) und Du hast deine Schrittfrequenz.))
Noch mal von vorne: Wenn Du feststellst, das deine Schrittfrequenz 155 ist und du stellst jetzt auf 180 um, wirst Du feststellen, das sich das echt blöd anfühlt. Und falsch. Aber weil es ja in meinem Blog steht, wirst Du dich deine 10 km zu den 180 Schritten zwingen. Und danach wirst Du ziemlich sicher Schmerzen haben in den Beinen und mich verfluchen. Womit ? Mit Recht.
Warum ? Weil diese Umstellung einfach zu schnell war. Bitte jede Änderung der Lauftechnik (wie auch die Umstellung auf Minimalschuhe) langsam und schrittweise angehen. Wenn Du heute auf 155 bist, versuche zuerst mal 160 – bis Du dich damit wohlfühlst. Dann steigerst Du auf 165, 170, 175, 180. Jede Steigerung immer erst dann, wenn sich die vorherige nicht mehr komisch anfühlt und Du dich nicht mehr zwingen mußt. Und wenn 180 nicht geht, dann reduzierst du halt wieder. Ich bin ca. 2-3 Monate mit 180 gelaufen und habe festgestellt, das das nicht von alleine geht. Mittlerweile habe ich mich auf 175 eingependelt und fühle mich damit sehr wohl.
Ich brauche keine Lauftechnik
Gratuliere. Ernsthaft. Nicht jeder kann von einer Lauftechnik profitieren. Die einen, weil sie schon einen guten Laufstil haben. Die anderen, weil sie schlicht und ergreifend zu wenig laufen, um durch hohe Belastungen Verletzungen zu bekommen. Aber ich kenne nur wenig Läufer, die regelmäßig trainieren und nie verletzt sind. Und diese Verletzungen sind in der Regel ein deutliches Zeichen, das die Belastungen zu hoch sind – und dem kann man mit guter Lauftechnik entgegenwirken.
Warum brauchen wir überhaupt Lauftechnik ? Laufen kann jeder.
Darüber habe ich echt lange nachgedacht. Ich hatte lange Zeit die gepolsterten Schuhe im Verdacht, die uns zu Fersenläufer macht. Was sich als falsch herausgestellt hat – weil viele auch mit Barfußschuhen Fersenläufer bleiben. Lange habe ich nicht verstanden, warum manche Menschen einen richtig harten, fast brutalen Laufstil haben und andere leicht über den Boden gleiten. Und warum Kinder im Alter von 3-5 Jahren in der Regel einen wirklich guten Laufstil haben und später nicht mehr.
Heute habe ich eine Erklärung dafür:
Das Sitzen ist Schuld
Wir sitzen alle viel zu lange und viel zu oft den ganzen Tag über. Im Auto, in der U-Bahn, im Büro, beim Essen, zu Hause. Das Sitzen verkürzt unsere Sehnen und Muskeln – besonders die, die auf der Vorderseite des Körpers verlaufen. Das führt dazu, das der Fuß beim Laufen automatisch weiter nach vorne schwingt, anstatt weit nach hinten zu schwingen. Und ein Fuß, der weit nach vorne schwingt, kommt in der Regel vor dem Körper mit der Ferse auf. Und bremst damit die Laufenergie – in den Schuh oder in die Ferse, die die Belastung direkt ins Knie und die Hüfte weiter gibt.
Ich habe nur so eine Phobie gegen das „Rumpfuschen“ im Laufstil, weil mir das mal eine 2 jährige Pause eingebracht hat
Zum Abschluß noch ein Zitat von Dennis, das mir sehr wichtig ist.
Beim Laufen spielen viele Dinge zusammen – eigentlich ist es eine hochkomplexe Bewegung, bei der der ganze Körper perfekt zusammenspielen muss (merkt man auch z.b. daran, das es noch keinen Roboter gibt, der wirklich laufen kann)
Das fängt von den Zehen an, geht über einen lockeren Fuß, zu den Unterschenkel, Knie und Oberschenkel, die Hüftbewegung und Hüftdrehung, die Streckung der Wirbelsäule, die Neigung des Körpers, zu den Schultern, die ruhig bleiben sollten, die Arme, die locker schwingen sollten, die Hände, die nicht verkrampft sein sollen, den Kopf, der Atmung, der Frequenz (und noch ein paar Sachen, die ich jetzt vergessen habe 😉 )
Schraubt man jetzt an einem Faktor herum, ändert man zu viel auf einmal, hört man zu wenig auf die Signale des Körpers, führt das in der Regel dazu, das der Körper eine höhere Belastung erfährt und mit Schmerzen reagiert. So wie es (wahrscheinlich) Dennis passiert ist.
Das bedeutet jetzt nicht, das Lauftechnik schlecht ist – das bedeutet, das die Änderung des Laufstils eine lange, schrittweise Übung ist. Ich arbeite z.b. schon ca 3 Jahre an meiner Lauftechnik und merke Veränderungen – bin aber von einem perfekten Laufstil noch weit entfernt.
Mein Ratschlag daher:
Langsam. Schrittweise. Auf den Körper hören. Jeden Lauf als Übungslauf für die Lauftechnik sehen. Konzentriert laufen.
Womit sich der Kreis schließt 😉
Danke für diesen schönen Artikel. Zu 99% stimme ich Dir zu, einzig und allein, das gepiepe vom Metronom kommt für mich trotzdem nicht in Frage 😉 😉
Schöne Grüße
Dennis