Fall-Theorie falsch ?
UPDATE MIT ANTWORTEN VON EMANUEL – 4.5.2019
Emanuel hat mir auf seinem YouTube Channel geantwortet – seiner Meinung nach ausführlich mit dem Schlußwort für mich: “Ich glaube nur, Deine Überzeugung und dein Glaube in diese Methode ist so stark, dass du gar nichts anderes zulassen kannst” – ich denke, jeder der mich nur ein wenig kennt weiß, das ich alle Dinge hinterfrage, die mir nicht logisch erscheinen und an gar nichts glaube. Ich will ja auch gar nicht ChiRunning oder POSE verteidigen – ich wollte ja nur dazu lernen.
Zusammengefasst sind die Hauptargumente von Emanuel – warum POSE und ChiRunning falsch liegen, folgende 2 Zeichnungen:
Das sind die Vektoren von POSE/ChiRunning
Das die Vektoren vom “normalen” Laufen lt. Emanuel
Aus meiner bescheidenen Logik widersprechen sich beide Zeichnungen nicht, sondern ergänzen einander sogar.
In beiden Fällen habe ich die Schwerkraft, die senkrecht nach unten wirkt.
Emanuel hat in der zweiten Zeichnung völlig korrekt gezeigt, wie das “Federsystem” unseres Beines den Körper nach oben und vorne bringt. Hier widerspricht ihm ja keiner.
Ergänzt man – aus meiner Sicht – seine zweite Zeichnung mit der ersten – dh fügt man hier noch den nach vorne gerichteten Vektor hinzu, der durch die Verschiebung des Körperschwerpunktes nach vorne erzeugt wird, wird die Vorwärtsbewegung stärker. Dh ich brauche weniger Kraft für mehr Bewegung nach vorne.
Ich hab mir sein Video und seine Antworten jetzt einige Male angesehen und durchgedacht und finde den Fehler nicht in meinen Überlegungen.
Praktisch gibt es sogar etwas, das jeder selber ausprobieren kann beim Laufen: Wenn ihr auf Untergrund mit sehr wenig Haftung lauft (richtig glattes Eis, tiefer, kleiner Schotter, richtiger Gatsch (Matsch)) lauft einmal sehr aufrecht mit dem Körperschwerpunkt über der Standfläche. Wenn ich das mache, spüre ich, wie meine Füße bei jedem Schritt leicht nach hinten wegrutschen – eben wegen den Kräften, die Emanuel in seiner zweiten Zeichung richtig beschreibt.
Wenn ihr jetzt den Körperschwerpunkt leicht VOR eure Standfläche bringt, werdet auch ihr es spüren – was ich spüre und was Romanov sogar auf einem Video dokumentiert hat (und ich auch gerne ausprobieren würde wie er – nur habe ich keine Eishalle zur Verfügung): Sobald der Schwerpunkt vor der Standfläche ist, könnt ihr sogar auf glattem Eis laufen. Was lt. der Zeichnung von Emanuel ja nicht gehen kann, weil die Vorwärtsbewegung lt. ihm nur davon kommt, das das Federsystem des Beines den Körper “abstößt”
(Genau dieses Beispiel hat dazu geführt, das er die Diskussion abgebrochen hat…)
Seine Antwort bez. Segway und dauernde Beschleuning habe ich mir wirklich oft durchgelesen:
“zu „Beschleunigung“ Ja, wirklich. Du kannst weder ein Auto noch ein Segway mit unserem Körper vergleichen. Größter Unterscheid: wir rollen nicht auf Rädern, die wie beim Auto von einem Riemen gedreht werden. Während beim Auto Luftwiderstand, Reibung und Motorbremse tatsächlich relevant sind, findet der Luftwiderstand nicht mal in den Berechnungen von Elite-Sprintern Relevanz. Auch bei Autos ist das in niedrigen Geschwindigkeiten nicht relevant. Wie ich im Video auch gesagt habe: wir haben beim Laufen immer eine Beschleunigungs- und Bremsphase, da wir eben kein sich konstant drehenden Motor sind. Etwas anderes ist es, wenn du gegen Wind läufst, dann braucht man tatsächlich eine Erhöhung der Beschleunigung um dem Wind etwas entgegensetzen zu können, denn auch der Wind hat ja eine Beschleunigung. Bis 40km/h summierter Geschwindigkeit, ist diese Größe aber, wie gesagt auch zu vernachlässigen. Ein Segway ist unserem Körper vielleicht ähnlicher als du denkst. Denn das ganze System funktioniert nur mit der Unterstützung von Sensoren in der Standfläche des Gerätes, die ähnlich wie die Bogengänge in unserem Innenohr auf allen drei Dimensionen messen und die Platte inkl. Fahrer mit einem komplexen Algorithmus stabilisieren. Und stabilisieren heißt in dem Fall halten bzw. so viel Bremskraft aufbringen, dass der Fahrer nicht nach vorne oder hinten überfällt und seine Geschwindigkeit konstant hält. Das Lehnen bei einem Segway ist daher eher ein großer Steuerknüppel. Versuche dich mal auf einem Brett mit zwei kugelgelagerten Reifen an den Seiten überhaupt zu halten und dann auch nur ganz leicht nach vorne lehnen. Das wird seh sehr schwer und gefährlich. Also, ein Segway funktioniert nur, wenn Energie aufgewendet wird um die Kiste zu halten. Deswegen brauchen die Dinger Strom und den nicht nur für die Kontrollelektronik. Wenn ich mich richtig ans Studium erinnere, dann wird das mit Magnetbremsen gemacht. Weiß ich aber nicht zu 100%. Der wichtigste Unterschied ist aber: Es wird eine gleichbleibende BRK aufgebracht, die sich zwar in ihre Wirkrichtung mit dem Nachvornelehnen verändert, aber ansonsten konstant bleibt. DAS ist anders als bei unserem Bein! Hier haben wir einen Speicher von elastischer Energie, die in der terminalen Standphase durch die Streckung des Beins und der Hüfte abgegeben wird, die BRK in der Phase größer als die KGK wird und der KSP dadurch nach oben gedrückt wird. Das macht ein Segway nicht, weil er Räder hat!”
Ich geb zu, das verstehe ich nicht
Laufen besteht also aus einer Beschleunigungs- und einer Bremsphase.
Wenn ich das richtig verstehe, ist die Beschleuningsphase genau der Moment, in dem der Fuß sich hinten “abdrückt” und die Bremsphase der Moment, in dem der Fuß am Boden aufkommt.
Also genau dieser Moment, wo es am Boden staubt ?
Interessanterweise verschwindet das Stauben, sobald der Läufer seinen Schwerpunkt ein klein wenig nach vorne bewegt ? (Einer der Gründe, warum ich so gerne auf Schotter laufe bzw. meine Teilnehmer beim Laufkurs auf Schotter laufen lasse bzw. filme)
Und zu guter Letzt zu einem weiteren seiner Argumente:
“Die Beschreibungen von Ross Tucker bestätigen auch meine Erfahrung, dass viele die Pose und Chi Methode im ersten Moment logisch finden, es lesen oder einen Workshop machen, es dann aber doch nicht auf die Strecke bringen können und es sich für viele seltsam anfühlt. Das Gegenargument der Pose und Chi Jünger ist dann: „sie haben es noch nicht richtig verstanden“. Dann frage ich mich allerdings immer: wenn eine Lauftechnik so schwer zu verstehen und umzusetzen ist, entspricht sie dann wirklich unserer Natur? Wir haben viele Pose und Chi Runner in unseren Workshops und Ausbildungen. Die meisten kommen schon zurecht mit der Technik, merken aber, wie locker und leicht sich Laufen mit unserer Philosophie anfühlen kann. Bisher waren alle direkt überzeugt. Sorry, aber ich kann da, ohne rot zu werden, von nichts Anderem berichten.”
Ich durfte mittlerweile schon einige Menschen in meinen Kursen begleiten. Und ich kenne mittlerweile auch recht viele meiner ChiRunning Trainer Kolleginnen und Kollegen und auch Danny Dreyer persönlich. Und ich traue mich zu sagen, das keine Einzige und kein Einziger, von denen, die ich kennenlernen durfte, so eine Aussage, wie Emanuel sie oben beschreibt, treffen würde.
Die Lauftechnik ist nicht kompliziert oder schwer zu verstehen.
Aus meiner Sicht gibt es 2 Gründe, warum jemand keine dauerhafte Umstellung seiner Lauftechnik nach einem Kurs schafft:
a) Geduld
Das Erste, was ich meinen Teilnehmern im Kurs sage ist, das sie nach dem Kurs keine anderen Läufer sein werden. Aus einem simplen Grund: Ich kann in einem Tageskurs nicht Bewegungsmuster, die jahrelang eingeübt sind, umändern. (Und ich behaupte mal, das kann Emanuel auch nicht) Dh danach heißt es üben, üben und üben. Ich merke jetzt nach einigen Jahren, das sich meine Bewegungsmuster massiv verbessert haben, sehe aber bei jeder Videoanlayse (die ich regelmässig mache), das noch viel Verbesserungspotential da ist. Das liegt aus meiner Sicht nicht daran, das ChiRunning so komplex ist, sondern einfach an der Veränderung von lang einstudierten Bewegungen.
b) Bodysensing
Das ist aus meiner Erfahrung das größte Problem. Viele Menschen haben verlernt, ihren Körper zu spüren. Zu spüren, wie der Fuß aufkommt, zu spüren, in welche Haltung ihr Kopf gerade ist, zu spüren, welche Muskel entspannt und welche Muskeln angespannt sind usw. Dort hilft es nur wenig, wenn der Kopf weiß, was er tun soll, wenn der Körper nicht spürt, was er tut.
Das sieht man auch deutlich, das Personen, die im Berufsalltag viel mit Bewegungsmuster arbeiten (Physiotherapeutinnen, ..), sich wesentlich leichter tun, das Gesagte umzusetzen.
Es würde mich massivst wundern, wenn Emanuel nicht mit den selben Problemen in seinen Kursen zu “kämpfen” hat – diese beiden Punkte treffen jeden, der “Sport-Technik” lehrt. Egal ob Golflehrer, Reitlehrer, Skilehrer, Tanzlehrer, usw.
Aber ich werde mich am 11.9. zu seinem Kurs in Wien anmelden und dort mal sehen, welche Wunderwaffen er im Kurs hat…
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Originalposting:
Lieber Emanuel,
ich schätze deinen Zugang zur Lauftechnik sehr, schätze dein Hinterfragen von “Standards” und deinen wissenschaftlichen Zugang. Dein Artikel,warum wir beim Gehen mit der Ferse landen, hat mir schon oft in Diskussionen geholfen.
Dein letztes Video (https://youtu.be/n2nDUfJwv1M ) zum Thema: Die Fall-Theorie von Chi-Running und POSE Running hat bei mir jedoch einige Fragezeichen hinterlassen und ich würde mich freuen, wenn Du ein paar der Dinge, die mir in dem Video unklar sind, klarer machen kannst.
Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Laufen in Minimalschuhen und auch mit Lauftechnik – bei weitem nicht auf dem Level, auf dem Du das betreibst. Aber ich habe mich sowohl mit POSE-Running beschäftigt (und auch einen Kurs besucht) als auch doch etwas intensiver mit ChiRunning (bin auch ChiRunning Instructor, aber das soll für meine Fragen mal nebensächlich sein, da es mir hier nicht um die Frage geht, wer jetzt recht hat, sondern darum, das ich Dinge gerne verstehe, wenn ich das Gefühl habe, das sie von einem sehr kompetenten Menschen kommen)
Hier meine Unklarheiten:
Vektoren
Die erste Hälfte deines Videos beschäftigt sich ja intensiv mit Vektoren. Und für dich kommt nach den 16 Minuten klar raus, das die Verlagerung des Schwerpunktes über die Falllinie des Körpers (was Du als Vorlehnen bezeichnest)
Für mich ist das nicht ganz klar. Vor allem, weil dein zweiter Vektor zu einem anderen Zeitpunkt in der Laufbewegung erstellt wird, als der erste – an dem Du den Vektor von ChiRunning und POSE erklärst.
Wenn ich ein Bild mit den 4 Laufphasen aus deinem Video als Erklärung nutzen darf:
Der erste Vektor, den du erklärst, passiert aus meiner Sicht in der ersten und zweiten Phase des Bildes. Hier gibt es keine Spannung von Sehnen und Muskeln, die den Läufer vorwärts bringen.
In dieser Phase macht es absolut Sinn, wenn der Körperschwerpunkt sich nicht genau über dem Standfuß befindet, sondern etwas vor dem Fuß, weil mich dann die Schwerkraft in dieser Phase nach vorne bringt. (In Spuren erkennbar im zweiten Bild, wobei der Läufer hier sich definitiv mit dem Oberkörper vorlehnt, was so natürlich nicht sein soll – weder in POSE noch in ChiRunning )
Im vierten Bild, der terminalen Standphase, stimmen deine Vektoren aus meiner Sicht.
Dh deine beiden Vektoren sind in zwei völlig unterschiedlichen Laufphasen gezeichnet. Oder wo ist hier mein Denkfehler ?
Die Beschleunigung
Ca. ab Minute 17 erklärst Du uns, das eine ständige Verlagerung des Körperschwerpunktes vor die Mitte schon alleine deswegen nicht funktionieren kann, weil ich den Körper dadurch ständig beschleunigen würde.
Ähmm wirklich ? Fahre ich mit meinem Auto, stehe ich in der Vorwärtsbewegung ja auch ständig am Gas. Und zwar so weit, wie es notwendig ist, die von mir gewünschte Geschwindigkeit zu halten. Höre ich auf, zu beschleunigen, werde ich langsamer und bleibe irgendwann stehen (wegen dieser doofen Reibung und dem Luftwiderstand)
Ein noch besseres Beispiel ist ein Segway (falls du damit schon mal gefahren bist)
Stehst Du auf dem gerade, bewegt er sich nicht. Eine Verlagerung des Körpermittelpunktes nach vorne beschleunigt das Ding und es beginnt zu fahren. Verlagerst Du den Schwerpunkt nur ein klein wenig nach vorne, fährt das Ding langsam, ein wenig mehr und das Ding fährt schneller. Wirst Du wieder aufrecht, bleibst du stehen. Genau wie beim Laufen.
In meinen Kursen probiere ich das immer wieder gerne mit meinen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer aus, wie sie nur durch das Verlagern des Körpermittelpunktes die Geschwindigkeit verändern können – bis hin zum Rückwärtslaufen (wie beim Segway)
Und das Hüpfvideo….
Ich bin leider kein Videostar, sonst hätte ich dir mein Hüpfvideo gezeigt.
Stehe ich in einer guten Position und beginne mit den Füßen zu hüpfen, bewege ich mich gar nicht vorwärts, sondern hüpfe am Stand. (Kann jeder selber ausprobieren)
Bringe ich jetzt meinen Körperschwerpunkt ganz leicht nach vorne (hier reicht ein Zentimeter) und verändere sonst nichts an meiner Hüpfbewegung, dann bewege ich mich vorwärts. Getestet, funktioniert – probier es mal ohne Laufband aus…. Und ich bin nicht unendlich schneller geworden (leider….)
Der Drehmoment
Ab ca. Minute 22:00 erwähnst Du, das ich ja meinen Körper mit der hinteren Kette halten muss, wenn ich mich vorlehne. Wenn Du das musst, ist das ein deutliches Zeichen, das dein Schwerpunkt zu weit vorne ist. Und mit etwas Körpergefühl (Body Sensing wie wir Neudeutsch in ChiRunning sagen) bekommst du relativ rasch genau den Winkel ins Gefühl, der dich nach vorne bringt und trotzdem deine Beine entspannt. Bei mir “schlackern” zb. die meiste Zeit meine Unterschenkel-Muskeln beim Laufen – ein deutliches Zeichen, das die entspannt sind..
(BTW: Ich laufe ausschließlich in Minimalschuhen, seit vielen Jahren.)
Die POSE Studie
Die kannte ich schon, auch mit den von dir erwähnten Verletzungen.
Meine Frage dazu: Wenn Du einen durchschnittlichen Läufer in quasi einer Woche in seinem Laufstil veränderst (und die hatten einen 7,5 Stunden Tag und an 5 aneinander folgenden Tagen jeweils 1,5 Stunden Sessions), denkst Du nicht, das dieser Läufer auch mit deiner Methode in Gefahr läuft, verletzt zu werden ? Widerspricht das nicht den grundsätzlichen Trainingsprinzipien ?
Ich würde so etwas ablehnen, weil so plötzliche, schnelle Veränderungen für den Körper nicht gut sind, es wichtiger ist, Veränderungen langsam, in kleinen Schritten vorzunehmen (übrigens: eine der Grundsätze von ChiRunning) Siehst Du das anders ?
Ich würde mich über einen qualifizierten Austausch sehr freuen, ich denke, damit können beide Seiten nur profitieren. Gerne können wir auch etwas näher über das reden, was wir so beim ChiRunning in den Kursen erzählen – es ist ja wesentlich mehr als “nur” das Verlagern des Schwerpunktes.
Freue mich über deine Antwort
Christian
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